Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer beobachten im Schulalltag eine zunehmende Aggressivität von Schülern. Eine Untersuchung der Universität Freiburg unter der Regie von Bauer an Schulen in Südbaden bestätigt diesen Eindruck. „Wir haben dabei eine starke Aggressivierung der Sprache beobachtet“, sagt Bauer bei der Pressekonferenz zum Manifest: HALTUNG ZÄHLT.
Diese Entwicklung besorgt ihn. Denn aggressive Sprache und aggressives Handeln stünden in engem Zusammenhang, betont der Arzt und Psychotherapeut. "Worte wirken massiv auf das Gehirn." Als Ursache für diese Verrohung sieht er den zunehmend rüden Ton in der Politik und den Medien, allen voran in den Sozialen Netzwerken. Das spiegelt sich auch im Verhalten der Kinder auf dem Schulhof nieder. Für ihn ist klar: „ Die Art und Weise, wie wir vor Kindern und Jugendlichen sprechen, wird sie prägen.“
Erkenntnisse der Neurowissenschaften Wie Sprache Menschen beeinflusst, damit hat sich Bauer in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten und Sachbüchern beschäftigt. Seine Erkenntnisse stützt er auf neueste Ergebnisse der Neurowissenschaften. Es gebe klare Hinweise darauf, dass aggressive Sprache zu Aggression und Gewalt beitrage, betont der Oberarzt an der Uniklinik Freiburg. Sein Resümee:
- Die neuronalen Systeme von Sprechen und Handeln sind im Gehirn eng miteinander verbunden.
- Was andere zu uns oder über uns sagen, verändert das Gehirn, wie neuere, mit funktioneller Kernspintomografie durchgeführte Studien zeigen. Wenn Menschen hören, was andere zu ihnen oder über sie sagen, zeigt ein Teil des Stirnhirns eine massive biologische Reaktion.
- Verbale Ablehnung, insbesondere soziale Zurückweisung und soziale Ausgrenzung aktiviert die Schmerzsysteme des Gehirns. Das begünstigt Aggression.
Politiker – schlechte Vorbilder?
Dass Sprache das Denken und Fühlen von Kindern beeinflusst, kann BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann aus eigener Erfahrung bestätigen. Bis Mitte vergangenen Jahres leitete sich noch eine Schule. „Wenn wir Erwachsenen von einer ‚Flüchtlingsflut‘ sprechen, wirkt das auf Drittklässler bedrohlich. Flut bedeutet für Kinder Gefahr.“ Nur zähle das Wort bei vielen Politikern zum Wortschatz. Damit erzeugten sie eine Atmosphäre der Angst. Sie appelliert an alle Erwachsenen, Worte mit Bedacht zu wählen, denn sie seien Vorbilder.
Lehrkräfte hätten hier eine besondere Verantwortung. „Die Art und Weise wir als Lehrerinnen und Lehrer vor Kindern miteinander und über andere sprechen, wird letztlich auch das Klima in unserer jetzigen und zukünftigen Gesellschaft prägen“, sagt Fleischmann. Zugleich sei es Aufgabe von Pädagogen, aggressives Verhalten und Mobbing zu verhindern. Ein fairer Umgang miteinander auch bei Konflikten ist für sie die Grundlage demokratischer Meinungsbildung. Das müssten Kinder lernen. "In der Schule von heute sitzt die Gesellschaft von morgen."
Wut und Agression sind legitim
„Wut und Aggression sind legitime Gefühle, die wir brauchen“, betont Joachim Bauer. Dass Schüler in ihren Äußerungen ab und an über das Ziel hinausschießen, sei normal, dürfe aber nicht toleriert werden. Eltern und Lehrer müssten dann mit ihnen ins Gespräch kommen. „Es ist wichtig, dass Kinder lernen, ihre Wut zu benennen, ohne andere verbal zu entwürdigen.“
Über Prof. Dr. Joachim Bauer
Prof. Dr. med. Joachim Bauer ist Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut und lehrt an der Universität Freiburg. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er 1996 den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.
Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, unter anderem: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern; Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone; Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern;
Zuletzt erschienen bei Blessing: Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt (2011); Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht (2013).
Im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband ist er wissenschaftlicher Leiter des von ihm im Jahr 2004 mitbegründeten Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen.