Schüler der 7. Jahrgangsstufe erzählen ihrem Lehrer von einem Youtube-Kanal, auf dem man Filmchen von Lehrerinnen und Lehrern sehen kann, die während des Unterrichts ausgerastet sind. Am Abend tippt Alexander Schmid* ins Suchfeld: "Lehrer rastet aus" - und bekommt tatsächlich dutzende Filme vorgeschlagen, die offensichtlich heimlich im Unterricht aufgenommen wurden.
Was Schmid sieht, findet er zum Teil lustig, zum größeren Teil aber erschreckend. Erschreckend für ihn auch die hohe Zahl von Klicks. Die Videos verbreiten sich viral. Schmid öffnet eins nach dem anderen und wird unvermittelt aus Schülererspektive Zeuge, wie Kolleginnen und Kollegen Schüler aggressiv des Klassenzimmers verweisen, Kinder anschreien, sogar körperlich attackieren. Normalen Unterricht sieht er nicht, auf diesem Kanal finden sich nur Extrembeispiele für Stresssituationen, in denen Pädagoginnen und Pädagogen die Nerven verloren haben. Was ihm auffällt: Die Sequenzen sind offensichtlich größtenteils geschnitten und lassen den Gesamtzusammenhang nicht erkennen. In den meisten Fällen wirkt es so, als wäre die Lehrkraft bewusst provoziert worden.
Während er sich seine Gedanken macht, stößt Schmid auf einen Clip mit einem Lehrer, der besonders hitzköpfig und unpädagogisch reagiert - er selbst. Jetzt ist ihm klar, warum die Schüler ihn auf die Clips aufmerksam gemacht haben. Dem "Verdammt, das bin ja ich", folgen drängende Fragen:
• Wie kann ich diesen Film von der Internetplattform entfernen lassen?
• Wie finde ich heraus, wer das Video gedreht hat?
• Ist es rechtlich ein Unterschied, wenn Schüler Max den Film heimlich aufgenommen, aber Schüler Leon ihn ins Netz gestellt hat?
• Ist das Verhalten des Schülers, der dieses Video aufgenommen und ins Netz gestellt hat, strafbar, und wenn ja, auf welche Straftatbestände kann ich mich bei einer Anzeige berufen? Darf ich als Lehrkraft, wenn ich vermute, während des Unterrichts gefilmt worden zu sein, das Handy des Schülers sichten?
• Welche Konsequenzen kann die Schule aus einem derartigen Fehlverhalten eines Schülers ziehen?
Der Reihe nach: Grundsätzlich sind bei einem heimlich aufgenommenen Video die Persönlichkeitsrechte der Lehrkraft und natürlich auch anderer Schülerinnen und Schüler verletzt, die auf dem Video zu sehen und zu hören sind. Der Schüler, der ein solches Video, also in Bild und Ton, aufnimmt, macht sich strafbar. Die Lehrkraft ist im Unterricht mit einem abgegrenzten Personenkreis zusammen, somit ist der Unterricht nicht öffentlich und das gesprochene Wort rechtlich geschützt.
Abgesehen von der möglichen Strafverfolgung ist für die Lehrkraft jedoch viel entscheidender, dass sie in ihrer Würde verletzt worden ist. Mit solchen heimlichen Aufnahmen wird das Vertrauensverhältnis zwischen Schülerinnen und Schülern und der Lehrkraft gebrochen. Die Lehrkraft wird immer im Hinterkopf haben, dass sie jetzt gerade vielleicht gefilmt wird. Außerdem wird manche Lehrkraft Hemmung haben, gegen den Film im Netz vorzugehen. Zum einen wird es ihr peinlich sein, in einer Ausnahmesituation entgleist zu sein, zum anderen muss sie fürchten, sich selbst einer Strafverfolgung auszusetzen (zu Beispel wegen Körperverletzung im Amt).