Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrer/in an einer Grundschule. Sie unterrichten 24 Kinder. Neben Maximilian mit Autismus-Spektrum-Störung kommen Lena, Kevin, Abdullah und Walther während des Schuljahres hinzu, die sehr verhaltensauffällig sind. Außerdem trägt sich Ihre Schulleiter/in mit dem Gedanken, das Schulprofil "Inklusion" auszubauen. Sie möchten unbedingt diesen Anforderungen gerecht werden und fordern u.a. über die Schulleitung fachliche Hilfe beim zuständigen Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD) an.
Nach einigen Wochen meldet sich eine junge Lehrkraft vom nahen Sonderpädagogischen Förderzentrum (SFZ). Sie stellt sich Ihnen als die neue MSD-Lehrkraft vor, die das Studium der Sonderpädagogik vor kurzem mit dem ersten Staatsexamen abgeschlossen habe, jedoch die Zeit bis zum Referendariat im SFZ aushelfe. Ihre sonderpädagogische Kompetenz habe sie in den letzten fünf Monaten am SFZ durch Klassenführung erworben.
Nach einiger Zeit stellen Sie gemeinsam mit den „sonderpädagogischen Fachkräften“ fest, dass das SFZ der bessere Förderort für Kevin sei. Nachdem die Eltern einer Umschulung zugestimmt haben, stellen Sie das Kind der zukünftigen Klassenlehrerin im SFZ in einer Diagnose- und Förderklasse vor. Die Klassenleiterin ist eine Gymnasiallehrerin, die in ihrem ursprünglichen Lehramt keine Anstellung gefunden hat. Nur ein Gedankenspiel? - Bittere Realität!
"Der Bayerische Weg"
Bildungspolitischer Konsens in Bayern ist der sogenannte „Bayerische Weg“: Inklusion muss Aufgabe aller Schulen und Schularten sein. Dabei bieten auch die Förderschulen ein qualitativ hochwertiges schulisches Angebot an. „Dass die Förderschulen, die in anderen Bundesländern mehr oder weniger abgewickelt wurden, hier weiter als alternatives schulisches Angebot zur Verfügung stehen und sich weiter entwickeln können, hat ihnen (…) das Stigma der „Aussonderung“ genommen“, resümieren Baier/Lengenfelder in einem Beitrag der Fachzeitschrift "Sonderpädagogik in Bayern".
Dies setzt an allen Schularten voraus, dass sowohl im inklusiven Setting als auch an den Förderschulen ein hochmotiviertes, fachlich qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Ohne den Einsatz von Lehrkräften anderer Lehrämter und von Studienabsolventen im Fach Sonderpädagogik mit erstem Staatsexamen wäre ein geregelter Schulbetrieb im inklusiven Setting derzeit kaum möglich.
Fachkräftemangel, fehlende Reserven und Quereinsteiger
Die erfahrenen Sonderpädagog/innen tragen neben ihren eigentlichen Aufgaben die Qualifizierung der neu hinzu gekommenen, fachfremd ausgebildeten Lehrkräfte mit. Diese Kolleg/innen sind aber sowieso schon hoch belastet, da keinen ausreichend qualifizierten Ersatz gibt, um die Ausfälle durch Beschäftigungsverbote, Mutterschutz und Elternzeit, längere Krankheit und Dienstunfähigkeit zu kompensieren. Ressourcen für Mobile Reserven werden zwar zur Verfügung gestellt. Es fehlen aber die Lehrkräfte, die diese Stellen bekleiden könnten.
Wurde vor einigen Jahren noch kritisiert, dass Sonderpädagog/innen in einem anderen als dem von ihnen vertieft studierten Förderschwerpunkt eingesetzt werden, ist man aktuell froh, dass überhaupt grundständig ausgebildete Pädagog/innen, egal mit welchem Förderschwerpunkt, zur Verfügung stehen.
Dilemma für Schulleitungen
Hier tut sich ein Dilemma für die Schulleitungen vieler Förderzentren und Sonderpädagogischer Förderzentren auf: Einerseits sollen den kooperierenden Grund- und Mittelschulen erfahrene Fachkräfte zur Seite gestellt werden - zum Beispiel als Mobile Sonderpädagogische Hilfen, kurz MSD, als Inklusionslehrkräfte in Tandemklassen und an Schulen mit Schulprofil Inklusion, sowie in Inklusionsberatungsstellen.
Andererseits will die Schulleitung ihr eigenes Zentrum ebenfalls mit qualifiziertem Personal versorgt wissen, um die hohe sonderpädagogische Professionalität im eigenen Haus zu wahren und auch weiter entwickeln zu können.
Keine Frage: Inklusion braucht Professionalität, egal an welcher Schule und in welcher Schulart! Bei aller Kritik ist unbedingt anzuerkennen, dass alle - von den einzelnen Lehrkräften, über Schulleitungen, über Schulämter bis hin zu den zuständigen Sachgebieten an den Regierungen und den sonderpädagogischen Lehrstühlen der bayerischen Universitäten - gemeinsam Lösungen erarbeiten.
Regionale Lösungen als Impulsgeber
Ziel muss sein, kurz- und mittelfristig der Notstand des Lehrermangels zu lindern, dessen negative Auswirkungen zu minimieren und pädagogisch sinnvolle Lösungen für Kinder und Jugendliche zu finden. Dies führt zu regional interessanten Lösungen, die als Impulsgeber dienen könnten.