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„Die innere Stärke auf die Straße bringen“

Im Podcast „Die Zukunft der Bildung in Bayern“ legt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ihre Vision einer gerechten und zukunftsorientierten Schule offen und was sich in Politik und Gesellschaft dafür ändern muss.

In der Podcast-Reihe „VerbandsPlausch“ spricht Gastgeberin Daniela Wintzer mit Menschen, die sich engagieren, um Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu gestalten. Zum Thema Bildung spricht sie mit der BLLV-Präsidentin und stellvertretenden dbb-Bundesvorsitzenden Simone Fleischmann. Auf die Frage, wie eine Frau in einer Spitzenposition mit Widerständen umgehen könne, stellt Fleischmann klar, dass dies für einen selbst keine Rolle spielen darf, auch wenn von anderen durchaus Unterschiede gemacht werden:

„Die wichtigste Vision ist, dass ich – egal, welches Geschlecht ich habe, egal, wo ich herkomme und egal, was so meine äußeren Merkmale sind – spüren muss, was in mir an Kraft ist und an Lust. Und dann muss ich das auf die Straße bringen. Ich muss erkennen, was ist meine Vision und was ist meine Kraft. Und die bringe ich dann als Frau, als Mann oder als nonbinärer Mensch oder als Mensch aus dem Ausland oder mit Migrationshintergrund oder als Kleiner, Großer, Dicker, einfach ein!“

Was in der Welt passiert, ist automatisch Unterrichtsinhalt

Zur Rolle von Lehrerinnen und Lehrern in einer sich dynamisch verändernden Gesellschaft betont die BLLV-Präsidentin: „Wir wollen die Gesellschaft von morgen bilden und erziehen. Wir haben einen sehr hohen Anspruch an uns selber, und den hat die Gesellschaft an Schule. Wir müssen diejenigen sein, die die Stärksten in der Gesellschaft sind, also die Kerzen der Gesellschaft. Deswegen ist die größte Herausforderung, dass wir starke Lehrerinnen und starke Lehrer haben, die ihre Frau stehen, ihren Mann stehen, die hinstehen und sagen: ‘Ich bin der Profi hier am Start. Ich will mich mit den Kindern und den Jugendlichen auf den Weg machen. Ich verstehe alle Herausforderungen dieser Gesellschaft.‘“

Dazu gehöre eben auch, Bildung nicht stur nach Vorschrift zu verstehen, sondern auf die Vorgänge im Weltgeschehen flexibel und mit pädagogischer Expertise zu  reagieren: „Wenn in der Klasse ein Riesenzoff ist, weil es um den Gazakrieg geht und Israelis und wer hier eigentlich schuld ist, und wenn es um Vorgänge hier geht oder was in Amerika passiert: Dann muss ich alles andere wegpacken und muss das in den Mittelpunkt stellen. Die politische Bildung, die Ängste der Kinder, die Sorgen der Kinder. In der Corona-Zeit war das genauso. Wir wussten alle, dass wir im Stoff hinterherhinken. Ja, aber es nützt doch nichts, wenn die Kinder weinen, weil der Opa im Krankenhaus stirbt, und sie dürfen nicht zum Opa. Da kann ich nicht den Pythagoras machen. Genau hier müssen wir die Stärke dazu beweisen. Ich glaube, die größte Herausforderung ist, starke Lehrer, empowerte Lehrerinnen, hohe Qualität bei uns zu haben – und eine Haltung des größten Respekts der Gesellschaft gegenüber uns und Rückendeckung durch die Politiker. Und bitte keinesfalls politisch Verantwortliche, die uns eher noch in den Rücken fallen oder so Sätze loswerden, wie wir sie von einem ehemaligen Bundeskanzler kannten, als faule Säcke. Das trägt leider heute noch.“

Leistungsdruck begünstigt Konflikte

Kritisch sieht Simone Fleischmann auch die Ziele, die in der Gesellschaft ausgerufen und vorgelebt werden, und die sich damit in die Schulen hinein verlängern: „Wir leben in Deutschland – und wir hier in Bayern explizit noch mal mehr – in einer starken Leistungsgesellschaft. Höher, schneller, weiter. Mein Haus, mein Pferd, mein Garten, mein Schiff. Wer ist mehr wert? Scheinbar der, der sich mehr leisten kann, also der, der mehr zeigen kann. Das ist sehr stark materialistisch. Das sage ich deswegen, weil wir als Lehrerinnen und Lehrer erleben, dass natürlich jede Mutter, jeder Vater das Beste fürs Kind will. Was ist das Beste für mein Kind? Sich in dieser Ellenbogengesellschaft durchzuboxen. Du musst dich zeigen, du musst den besten Beruf kriegen, du musst viel Geld verdienen. Aber wer sagt eigentlich: Glücklich werden im Leben? Denn das wäre vielleicht das Schönere …“

Aus dieser Haltung erklärt sich auch Sicht der BLLV-Präsidentin auch mancher Konflikt an Schulen: „Das führt dazu, dass man natürlich durch diese scharfe Leistungsorientierung kontrollierend unterwegs ist. Nicht nur, was das Kind angeht: ‘Hast du die Hausaufgaben gemacht? Hast du schon gelernt? Nein. Was? Eine Vier? Die hat dir eine Vier gegeben. Das ist doch mindestens eine Zwei!‘ Ich hatte mehrfach Anwälte bei mir im Büro, die mir als Schulleiterin erklärt haben, als Anwalt, dass diese Schulaufgabe so falsch konzipiert wurde und deswegen das Kind eine falsche Note hatte. Das heißt, man greift die Professionalität dieses Berufs an. Die Eltern sind so stark unter Druck, dass die Kinder in dieser leistungsorientierten Gesellschaft weiterkommen und geben diesen Druck an die Lehrerinnen und Lehrer weiter. Ich glaube, der Respekt vor der Lehrkraft hat nicht dadurch verloren, dass wir schlechtere Menschen sind oder nicht mehr Menschen sind, zu denen man aufschauen könnte, die man respektieren könnte, sondern in einer leistungsorientierten Gesellschaft bin ich als Lehrerin sozusagen eine laufende Projektionsfläche. Da läuft doch irgendetwas falsch, oder?“

Eine andere Schulkultur

Dabei geht es auch anders, wie Simone Fleischmann mit Blick auf die Schulen berichtet, die im Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden. Als Jury-Mitglied beeindruckt die BLLV-Präsidentin beim Besuch solcher Schulen eins am meisten: „Man merkt schon im ersten Schritt, welche Kultur an dieser Schule herrscht. Und da sind die Schulen immer vorne dran, die nicht nur Lernraum sind, sondern Lebensraum sind!“

Ihre Vorstellung einer Schule, die Kinder und Jugendliche wirklich fit macht, ihre Zukunft verantwortlich, selbstbestimmt und werteorientiert zu gestalten, beschreibt Simone Fleischmann so: „Die Schule von morgen ist eine Schule, die den ganzheitlichen Bildungsbegriff lebt: nach Pestalozzi mit Herz, mit Kopf, mit Hand. Die Schule von morgen ist eine, in der wir gemeinsam mit den Schülern entscheiden, was sie in ihrem individuellen Lernrhythmus lernen wollen. Die Schule von morgen hat Lehrerinnen und Lehrer, die bewusst diesen Beruf gewählt haben, eine profunde Ausbildung haben und bestens honoriert werden. Die Schule von morgen kann so sein, wenn die Gesellschaft uns Lehrerinnen und Lehrer wieder als Kerzen der Gesellschaft anerkennt.“

» Den kompletten Podcast anhören: „Die Zukunft der Bildung in Bayern“