Bild: sally2001/photocase.de
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Religionssensible Schulkultur Themen
Interkulturelle Kompetenz Individuelle Förderung

Das Ende der Dominanz

In der multikulturellen Gesellschaft von heute braucht es ein Bekenntnis zur Vielfalt – zumindest darüber war man sich einig bei einem philosophischen Salon des BLLV zum Thema "religionssensible Schulkultur". Aber braucht es auch ein Bekenntnis zur Religion? Und wenn ja: zu welcher? Soll ein solches Bekenntnis im Schulhaus gelebt werden oder reicht es, dort etwas über Religionen zu erfahren und Toleranz zu üben? Schlaglichter auf das religiöse Empfinden im Freistaat und auf das Ringen des Verbandes um zukunftsfähige Positionen.

Es ist schon ein Kreuz mit dem Glauben im Klassenzimmer. Bis ins Jahr 1968 waren die bayerischen Volksschulen sogenannte Bekenntnisschulen. Katholische und evangelische Kinder wurden säuberlich getrennt. Auch die Lehrerbildung an den Pädagogischen Hochschulen war konfessionell geprägt. Dann machte ein Volksentscheid zumindest Schluss mit der Konfessionsschule. 1995 urteilte das Bundesverfassungsgericht, die bayerische Schulordnung verstoße gegen die (negative) Religionsfreiheit nach Grundgesetz Artikel 4, wenn sie vorschreibe, dass in jedem Volksschul-Klassenzimmer ein Kruzifix hängt. Hängen blieb es doch. Dafür sorgte schon der bayerische Verwaltungsgerichtshof. Im Jahr 2021 wurde "Islamischer Unterricht" als Wahlpflichtfach anerkannt, nach zehnjähriger Versuchsphase und beharrlichem Drängen des BLLV.

Im einst so kirchentreuen Bayern haben sich die meisten Menschen, was den Glauben angeht, mittlerweile locker gemacht. Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK fühlen sich, unabhängig von formalen Mitgliedschaften, 42 Prozent als katholische Christen, 21 Prozent als evangelische Christen, 3 Prozent als Muslime, 2 Prozent als anderen Religionen zugehörig. Bemerkenswert: 32 Prozent rechnen sich keiner Konfession zu. Bemerkenswerter: Selbst von denen, die sich einer der Glaubensrichtungen zugehörig fühlen, befürworten 64 Prozent (deutschlandweit 72 Prozent) einen konfessionsübergreifenden Ethikunterricht (Details unter bllv.de/religionssensible-schulkultur).

Christliche Bekenntnisse als Norm?

Auch angesichts solcher Befunde fordert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann eine „prinzipielle Neuausrichtung des Religionsunterrichts“. Allerdings: Artikel 135 der bayerischen Schulordnung verfügt bis heute, „die Schüler werden nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen“. Von anderen Bekenntnissen oder gar Atheismus keine Rede. Die "Beharrkräfte bei diesem Thema", sagte die BLLV- Präsidentin im Anschluss an die GfK-Studie in Presse-Interviews, seien erfahrungsgemäß stark. Daher müsse man „alle Beteiligten mitnehmen“. Es sei "höchste Zeit für eine religionssensible Schulkultur".

Was "mitnehmen" und "religionssensibel" bedeutet, machte der BLLV schon vor der GfK-Studie – Auftraggeber war der Bund für Geistesfreiheit" (bfg) – Ende Februar klar. 18 Personen des gesellschaftlichen Lebens sowie aus Schule und Hochschule wurden zu einem nicht-öffentlichen Gedankenaustausch mit religionsaffinen Repräsentanten des Verbandes nach München gebeten. Dieser "philosophische Salon" sollte qualitativ statt statistisch quantitativ Befindlichkeiten, Gedanken und Wünsche in Bezug auf den aktuellen und einen möglichen Religionsunterricht zur Sprache bringen. Das alles als Anregung für die künftige Positionierung des Verbandes.

Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott"?

Und so diskutierten sie im Konferenzsaal eines Hotels im bunten Münchener Bahnhofsviertel – die religionskritische Schülerver- treterin ebenso wie die evangelisch-amtskirchlich engagierte Führungsperson des Bayerischen Rundfunks; die strikt laizistisch eingestellte Kinderbuchautorin ebenso wie die muslimische Religionspädagogin; der Mann vom Beamtenbund ebenso wie der katholischer Seelsorger; maßgebliche Personen aus Lehrerschaft, Schulverwaltung und Universität ebenso wie der sich als katholisch bekennende Kabarettist.

Sie diskutierten, was jahrzehntelang den bundes- und landesweiten Diskurs über Schule und Religion geprägt, was immer wieder die Gemüter erhitzt hat: Soll Religionsunterricht Wissen über Religionen vermitteln oder soll er Religion erleben lassen? Und wenn ja, welche? Braucht es überhaupt Religionsunterricht? Reicht nicht das werteorientierte Fach Ethik – auch wenn Artikel 139 der bayerischen Verfassung bis heute als erstes der "obersten Bildungsziele" die "Ehrfurcht vor Gott" festlegt? Das Besondere bei diesem Salon: Kein Gezanke, man führte kultiviert Rede und Gegenrede, dezent geleitet von einer erfahrenen Rundfunkmoderatorin.

Im geschützten Raum konnte die 16-jährige Gymnasiastin frei heraus sagen, man sollte schon "Einblicke in andere Religionen" bekommen, ansonsten aber solle Religion "etwas Privates bleiben. Die Schriftstellerin befand, Religion habe in Staat und Schule schlicht nichts zu suchen, in einer multikulturellen Gesellschaft seien die Menschenrechte das Verbindende. Ein langjähriger Mittelschullehrer sprach von seiner Beobachtung, dass die Schülerinnen und Schüler "vor allem nicht getrennt werden wollen." Der Kabarettist regte an, man sollte immerhin im Religionsunterricht die Noten abschaffen.

Einer der Religionsexperten des BLLV widersprach der Schülerin: Religion gehöre sehr wohl in den öffentlichen Raum und nicht ins private Kämmerlein. Funfact am Rande: Eine Lehrerin habe seinen Rat gesucht, weil sie gebeten worden sei, das Wort "Gott" nicht zu verwenden – es könnte ja jemanden verletzen. Der Rundfunkmann gab seine Beobachtung wieder, viele Schüler seien "nicht unreligiös, sondern religiös sprachlos“, im Übrigen ließen sich die Menschenrechte auch aus den zehn Geboten ableiten. Die evangelische Religionslehrerin erklärte, es sei ja nicht nur die Wertefrage wichtig, sondern auch die Sinnfrage. Ein Hochschulvertreter warf ein, es müsse nindestens gelingen, den Kindern zu ermöglichen, ihre jeweilige Religion kennenzulernen.

Religionskundlicher Unterricht für alle?

Kernfrage war: "Wie könnte der religionssensible Unterricht der Zukunft aussehen?" Dazu kamen jede Menge mehr oder weniger utopischer Anregungen: Schule wäre Raum für Sinnsuche; Wissen würde nicht alles sein, da wäre auch Platz fürs Beten; Religionsunterricht wäre "Teil des Lebensraums an Schulen"; es gäbe "religionskundlichen Unterricht für alle"; die Wahrnehmung der eigenen Religion wäre ebenso wichtig wie die der anderen; das Anders-Sein wäre – auch dank divers ori entierter Lehrkräfte als Vorbilder, natürlich geworden; man wäre nicht nach Konfessionen getrennt, würde ohnehin nicht in Klassenräumen, sondern in Co-Working-Spaces voneinander lernen; die Schulen würden ihre eigenen individuellen Kon- zepte stricken dürfen – unter Berücksichtigung der Atheisten.

Auch die Rolle der katholischen Kirche wurde thematisiert. Sie dominierte ja Bildung und Wissenschaft bis weit ins vergangene Jahrtausend. Es waren der Kirche nahestehende Personen im Salon, die eine Zeitenwende begrüßten. Eine Kirche "mit flachen Hierarchien" würde auch "als gesellschaftliches Modell" taugen. Es nahe das Ende ihres "Dominanzgebarens". Da wehte plötzlich ein Hauch '68 durch den Saal.

>> Dieser Artikel erschien zuerst in der bayerischen schule #4/2022.

 

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