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Praktikum im BLLV-Kinderhaus in Peru Startseite

Kulturschock mit Glücksgefühlen

Der BLLV bietet für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter ein vier- bis achtwöchiges Auslandspraktikum. Lena Schäffer berichtet aus dem Kinderhaus in Peru. Sie studiert im 5. Semester Mathematik und Physik für das Lehramt am Gymnasium in Regensburg.

Zwei Monate absolvierte ich im Rahmen des BLLV-Auslandsprogramms im BLLV-Kinderhaus Casadeni (Haus für Kinder) ein Praktikum.  Mit Umarmungen und warmen Worten wurde ich im Kinderhaus bei meiner Ankunft empfangen und mit vielen Tränen verabschiedet. Es war eine außerordentlich intensive Erfahrung für mich, die mich mein Leben lang begleiten wird. Die Herzlichkeit, die ich dort erfahren habe, werde ich nie vergessen.

Als ich in Ayacucho ankam, bezog ich zuerst meine Wohnung - ein kleiner Kulturschock. Sie bestand aus einem fensterlosen Raum, zwar mit Bad, aber ohne Warmwasser. Zudem besaß ich weder Küche noch einen Kühlschrank. Während bei uns nur der Gedanke eines Blackouts viele schon in Panik versetzt, war meine Zeit in Ayacucho geprägt von Stromausfällen. Einmal fiel sogar das fließende Wasser für 48 Stunden aus. Schnell wurde mir sehr plastisch bewusst, für wie selbstverständlich wir unsere zuverlässige Versorgung in den westlichen Ländern nehmen.

Doch nicht nur bei der Infrastruktur gibt es eklatante Unterschiede. Auch bei der Bildung. Für uns ist es selbstverständlich, dass jedes Kind eine Chance auf Bildung bekommt, auch wenn es hier viele Defizite gibt. In Peru kann davon keine Rede sein. Die Bildung in den öffentlichen Schulen ist in vielerlei Beziehung unzureichend: Riesige Klassen, wenig Unterrichtsmaterial, keine digitale Ausstattung, schlecht ausgebildete und bezahlte Lehrerinnen und Lehrer, eine antiquierte lehrerzentrierte Didaktik und Methodik und keinerlei individuelle Förderung. Kein Wunder: In Peru wird weniger als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgegeben.

Das Kinderhaus - Ein Zufluchtsort für viele Kinder

Die Arbeit im Kinderhaus hat mich um ein Vielfaches für die gewöhnungsbedürftige Wohnsituation entschädigt. Schon an den ersten Tagen wurde mir klar, dass für die Kinder Casadeni eine Art Zufluchtsort ist, an dem sie das Chaos im Alltag, Kinderarbeit, Armut und den täglichen Überlebenskampf vergessen können. Es ist ein Ort, an dem sie Unterstützung erfahren, sie eine Chance auf Bildung bekommen und einfach nur Kind sein können.

Meine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, den Kindern bei ihren Hausaufgaben zu helfen und Lerndefizite in Mathematik und Englisch auszugleichen. Dass die Bildungschancen stark vom Elternhaus und dessen Unterstützung abhängen, wissen wir aus Deutschland. In Peru ist das aber noch viel deutlicher spürbar. Während manche Drittklässlerinnen und Drittklässler perfekt multiplizieren können, haben viele Kinder der sechsten Klasse schon bei den unteren Zahlen des Einmaleins ein Problem. Viele der älteren Schülerinnen und Schüler können keine Text verfassen. Nur wenige Kinder bekommen von ihren Eltern Unterstützung, Im Kinderhaus ist deshalb das gemeinsame Lernen als Ergänzung zur Schule sehr wichtig. Die Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen im Kinderhaus umfasst individuelle Betreuung, sei es bei Hausaufgaben oder alltäglichen Herausforderungen. Besonderer Wert wird dabei auf das Lehren und Leben von Werten wie Respekt, Solidarität und Wertschätzung gelegt.

Während bei uns schon schlechte Noten für viele ein Weltuntergang sind, haben die Kinder hier ganz andere Probleme. Die Familien aus denen die Kinder im Kinderhaus kommen, leben zum großen Teil in extremer Armut. Die Pandemie hat viele Menschen traumatisiert, sie verlangte in Peru besonders viele Tote unter der armen Bevölkerung. Durch die zwei Jahre dauernde Schließung der Schulen fielen die sozial schwächeren Schülerinnen und Schüler noch weiter zurück. Die Armut nahm zu.

Eine neue Erfahrung für viele Buben: Auch Mädchen können Fußball spielen

Meine Arbeit bestand nicht nur aus Nachhilfe. Fast täglich spielte ich mit den Kindern. Weil der Innenhof des Kinderhauses klein ist, spielten meist nur die größeren Jungen. Schnell merkte ich, dass natürlich auch die anderen Kinder gerne gespielt hätten, vor allem auch die Mädchen, denn die blieben ganz außen vor. Also gründete ich drei Fußballmannschaften und trainierte die Jungs und Mädchen wöchentlich auf einem angemieteten Fußballplatz, den ich durch Spenden meiner Fußballmannschaft in Deutschland finanzierte. Mit Begeisterung stürzten sich Buben wie Mädchen in den Sport und zeigten auch schnell Fortschritte in der Spieltechnik.

Das Kinderhaus hat es sich zur Aufgabe gemacht, stets ein offenes Ohr zu haben. Bei einem Treffen der Kinder aller Armenviertel  Ayacuchos sprachen wir mit ihnen über ihre Probleme. Dies war für mich einer der prägendsten Momente, da die Probleme der Kinder für mich vorher unvorstellbar waren. Ich bin in einem geschützten Umfeld aufgewachsen, sodass mein größtes Problem war, wenn die Älteren mich beim Fußball nicht mitspielen ließen. Dementsprechend musste ich ganz schön schlucken, als die 6- bis 14-jährigen von ihren Problemen wie fehlendem Zugang zu fließend Wasser, schlechten Arbeitsbedingungen, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch sprachen. Als ich nach diesem Tag abends in meinem Bett lag, hatte sich für mich der Standard meiner Wohnung schnell relativiert und ich war dankbar für meine vergleichsweise kleinen Probleme.

Ein trauriger überstürzter Abschied

In den 10 Wochen im Kinderhaus konnte ich eine unglaublich vertraute und liebevolle Beziehung zu den Kindern aufbauen. Die Arbeit des Kinderhauses besteht aus mehr als nur Förderung, Betreuung und Freizeitgestaltung von Kindern. Es wurde ein sicherer und vertrauter Ort geschaffen, an dem die Kinder sich öffnen und einfach nur Kind sein können. Ich habe während meines Praktikums viele neue Freundschaften geschlossen und hätte mir nie träumen lassen, dass mir die Kinder und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so ans Herz wachsen. Beeindruckend war für mich vor allem das respektvolle und friedliche Miteinander. Jedes Kind hat eine Stimme und bekommt das Gefühl, ein wichtiger Teil der Gemeinschaft zu sein.

Überstürzt und sehr traurig musste ich vor der Zeit das BLLV-Kinderhaus in Ayacucho in Peru verlassen. Nachdem die politische Lage sich in meiner vorletzten Woche zugespitzt hatte und es landesweit zu Ausschreitungen gekommen war, musste ich spontan nach Lima fliegen, was meiner Zeit in Casadeni ein abruptes Ende bereitete. Da die Landwege bereits durch Protestierende blockiert waren und die Flughäfen in einigen Städten von ihnen eingenommen wurden, entschieden wir uns, dass es für mich die beste Option war, so schnell wie möglich nach Lima zu fliegen. Dadurch musste ich mich sehr plötzlich von den Kindern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verabschieden, was mir unglaublich schwerfiel. In den 10 Wochen meines Aufenthalts sind mir die Kinder so ans Herzen gewachsen, dass der Abschied sehr tränenreich verlief.